Gerechtigkeit und Wahrheit

Platons Politeia stellt im 1. Buch, dem Trasymachosdialog, die Frage nach der Gerechtigkeit. In den strittigen Meinungen ist die Auffassung, was sie sei, mit den Beurteilungen verknüpft, ob es in der Lebensführung der einzelnen gut und nützlich bzw. von Vorteil sei, eher gerecht oder eher ungerecht zu sein. Das zweite Buch, das sich von Trasymachos als Streitpartner verabschiedet und die Brüder Platons als herausfordernde Gesprächspartner von Sokrates situiert und sie bis zum Schluß der gesamten Politeia in dieser partnerschaftlichen Rolle erhält, stellt die befragte Alternative noch einmal präzisierend vom Guten als Maß her:

„O Sokrates, willst du nur scheinen uns überführt (pepeikenai) zu haben oder uns wirklich überzeugen (alethos peisai), daß es auf alle Weise besser ist, gerecht zu sein als ungerecht?“ Politeia 357b

Das ‚besser’ in der Übersetzung gibt hier das gr. ‚ameinon’ wieder, das ein Vorziehen bedeutet.

Glaukon zieht dann die im bisherigen Gespräch gegebene Beweisführung in Zweifel und begehrt von Sokrates zu hören, was jedes ist und welches Vermögen es selbst als es selbst hat, wie es in der Seele ist. (Er lenkt die Frage auf Idee der Gerechtigkeit). Lohn und Folgen möge er beiseite lassen.

In zweifacher Provokation tragen nun zuerst Glaukon (358e ff) und dann Adeimantos (362d ff) Rechtfertigungen des Ungerechten und der Kunst Gerecht nur scheinen zu können vor, fordern so durch diese Reden Sokrates auf, der Gerechtigeit selbst zu Hilfe zu kommen (366 b ff).

Schon die Erzählung zum Ring des Gyges, der den Träger, am Finger nach innen gewendet, unsichtbar macht, zeigt die Frage nach dem Gerechtsein als mit Schein und Wahrheit verküpft, ob einer nur gerecht scheint oder in Wahrheit gerecht ist und ob dieses Sein auch erscheinen und offenbar sein können muß (für seine rechte Beurteilung) oder ob eher das Unscheinbare Kriterium der Prüfenden ist.

Mit der Wahrheit, der Gerechtigkeit und der Gutheit geht für das als gerecht oder ungerecht Begriffene und als besser oder schlechter Beurteilte ebenso wie für das beurteilend prüfende Erkennen eine Komplexion maßgeblicher Ideen ein, deren Verflechtung und Bedingungsverhalten den Ausgriff (und Aufstieg) in der Bildung der Hüter und Helfer (für die Gerechtigkeit als eines Guts) motiviert und notwendig macht, nach dem höchsten zu Lernenden (megiston mathemata) zu fragen, als die dann in 505a die Idee des Guten genannt wird, die als Maß und Vermögen der Güte des Gerechtseins mit der Gerechtigkeit selbst als Maß ebenso verbunden ist wie mit dem Maß der Wahrheit und der Schönheit, wo diese als sie selbst als „gutartig“ erkannt werden.

„jede von beiden (Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit) aber selbst, was sie einzeln als Vermögen (eigentümlich) selbst sind, mit der sie der Seele innewohnen, auch wenn sie Göttern und Menschen entgeht, hat noch nie einer weder in Dichtung noch in gemeiner Rede hinreichend dargestellt, die eine als das größte Übel, welches die Seele in sich selbst nur haben kann, und die Gerechtigkeit als das größte Gut (megistaon agathon).“ (→ jeder sein eigener Hüter – phylax). 367a

„Zeige uns also in deiner Rede nicht nur, daß Gerechtigkeit besser ist als Ungerechtigkeit, sondern wozu jede von beiden den, der sie hat, selbst durch sich selbst (aute di’ hauten) die eine ein Übel die andere ein Gut machend (bewirkend) ist.“ 367b